Salvatore Garau - Unsichtbare Skulptur

Die unsichtbare Skulptur

Auf Facebook wurde gestern eine sehr interessante Meldung aus dem Zeitmagazin geteilt:

"Eine "unsichtbare Skulptur" des Künstlers Salvatore Garau hat gerade für 15.000 Euro den Besitzer gewechselt. Sie besteht aus, Sie ahnen es, Luft (oder wie Garau sagt, "einem Raum voll Energie"). Wer kauft so etwas? Wohl jemand, der schon alles hat - außer nichts."

Ich habe diesem Zitat nichts hinzugefügt und nichts weggenommen und auch nicht überprüft, ob die Nachricht in dieser Form stimmt. Ich finde es allerdings mehr als spannend und auch gar nicht so verwunderlich.

Am Meisten verwundert mich noch, dass kein anderer Künstler bisher auf diese Idee gekommen ist (vielleicht gab es das aber auch schon und hat nur nicht die selbe mediale Aufmerksamkeit erreicht, oder ist zumindest mir nicht zur Kenntnis gekommen).

Jedenfalls war meine Antwort auf den Post:

"Das ist nicht neu und auch vergleichsweise billig. Alle Kirchen dieser Welt (und jede Menge anderer Institutionen) machen mit unsichtbaren Dingen seit Jahrtausenden viel Geld."

Dies könnte durchaus die Botschaft sein, die in diesem Kunstwerk schlummert, egal, ob sie vom Künstler bewusst hineingelegt wurde, oder ob wir als Betrachter sie daraus ablesen.

Dies ist nämlich eine weitere Ableitung, die sich aus meiner Sicht aus diesem Kunstwerk ergibt: dass wir ja immer erwarten, eine Künstlerin, ein Künstler "verstecken" Bedeutungen in ihren Werken, und unsere Aufgabe als Kunstrezipienten wäre es, diese herauszulesen oder zu entdecken.

So als wäre Kunst eine spezielle Form des Rätselratens: "Was will uns der Künstler damit sagen?".

Natürlich ist es überhaupt nicht Aufgabe der Kunst, uns unbedingt "etwas sagen" zu wollen und es ist auch nicht Job der Künstlerinnen, den kreativen Osterhasen zu spielen und kleine Nestchen mit versteckten Bedeutungen innerhalb unseres Wahrnehmungshorizonts zu platzieren. Doch dazu mehr an anderer Stelle.

Nehmen wir aber an, diese "unsichtbare Skulptur" (an anderer Stelle im Internet wird sie als "immaterielle Skulptur" bezeichnet, vielleicht ist das aber auch ein anderes, weiteres Werk des selben Künstlers), nehmen wir also an, sie würde Botschaften enthalten. Dann wäre dies die erste: dass nämlich auch andere Institutionen, nicht nur der Künstler (und seine Galerie) ihre unsichtbaren Werke gegen Geld tauschen, sondern zum Beispiel eben auch alle mir bekannte Kirchen und Religionen.

Sie alle - und ihre Repräsentanten - leben davon, uns etwas zu "verkaufen", das nicht "real vorhanden" ist und sie tun dies auch mit großer Überzeugung und der absoluten Gewissheit, dass uns das nicht stören sollte. Selbst wenn ich an Gott glaubte, so kenne ich doch niemanden, der ihn gesehen hätte - und vor allem kenne ich auch keine Kirchenperson, die behaupten würde, es wäre möglich, ihn zu sehen.

Jedenfalls nicht in einem Sinne, der sich grundlegend unterscheiden würde, vom Nicht-Sehen der Skulptur, die Salvatore Garau an den Mann (oder war es eine Frau?) gebracht hat.

Warum also schwingt in der Zeitungsmeldung ein etwas abwertender Grundton mit ("Wer kauft so etwas")? Warum nicht? Solange Menschen Kirchensteuer bezahlen, an Religionsgemeinschaften spenden, Zeit und Aufwand für diese - und andere, auch nicht kirchliche - Kulte einsetzen, die sich mit "nicht sichtbaren" oder "nicht materiellen" Dingen beschäftigen, sollte uns dies doch keinesfalls verwundern .

Viel eher sollten wir den Künstler bewundern, dass er sich so elegant in diese Gesellschaft einreiht, die doch schon seit Jahrtausenden eine heilsame (?) Wandlung von immateriellen in materielle Werte praktiziert.

Der Gedankengang lässt sich natürlich fortsetzen: Es gibt in Wahrheit unglaublich viele immaterielle Dinge, für die wir bereit sind, materielle Werte, oft beträchtliche Summen, einzusetzen.

Ich überlasse es dir, liebe Leser°in, mal in dich zu gehen und dich zu fragen, wie oft und wie viel deines schwer verdienten Geldes du für Dinge ausgibst, die man nicht sehen, nicht anfassen, ja oft nicht einmal spüren kann. Liste sie gerne in der Kommentarspalte auf - ich bin schon gespannt!

Kommen wir aber zurück zu unserem eigentlichen Thema, zur Kunst: ist es nicht auch bei sichtbaren Kunstwerken gerade der unsichtbare Anteil, der ihren eigentlichen Wert ausmacht?

Deshalb ist eine Zeichnung von Picasso wohl mehr wert, als eine von mir.

Und selbst eine Zeichnung von mir wäre (hoffentlich) mehr wert als das Blatt Papier das ich verwenden würde, inklusive des feinen Graphitstaubes, den ich darauf mit dem Stift aufgebracht hätte.

In Wahrheit ist der "reale", der materielle Wert eines Kunstwerkes meist ja nur ein Bruchteil des Wertes, den wir bereit sind, diesem zuzugestehen. Der "Mehrwert" wird durch mehrere Faktoren hinzugefügt: der Arbeit der Künstlerin, dem was das Kunstwerk in uns auslöst, dem subjektiven Wert, den wir bereit sind, ihm zuzumessen und auch dem objektiven Wert, den dieses auf dem Kunstmarkt vielleicht erzielen kann, der aber seinerseits natürlich nur subjektiv ist:

Auch ein an sich und für sich schönes, gutes, beeindruckendes, perfektes, inspirierendes (was immer unsere Bewertungskriterien wären) Kunstwerk bekommt durch die bloße Entdeckung, dass es in Wahrheit von Picasso, Rembrandt, van Gogh (und nicht wie bisher irrtümlich angenommen von einem ihrer Schüler oder Nachahmer) stammt, plötzlich ein Vielfaches von dem Wert, dem wir ihm bisher zugestanden haben.

Dieser Mehrwert entspricht natürlich einer vollkommen unsichtbaren (es wurde ja nichts Neues, Sichtbares, hinzugefügt) und immateriellen Komponente des ursprünglichen Kunstwerkes.

Salvatore Garau ist in Wahrheit nur einen ganz kleinen Schritt weiter gegangen und hat den - oft ohnehin schon extrem geringen - materiellen Anteil am Gesamtwert eines Kunstwerkes komplett weggelassen.

Ein kleiner, aber entscheidender Schritt, weil er freilegt und aufdeckt, wie wir eigentlich unter dem Wert eines Kunstwerkes bemessen. Jede geringschätzige Bemerkung über diese unsichtbare Skulptur oder ihre Käufer°in möchte ich daher entschieden zurückweisen:

Ich finde sogar, sie ist, verglichen mit anderen Werken auf dem Kunstmarkt, weit unter ihrem Wert verkauft worden. 

 

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